Über das „Digital Storytelling“

Als Autor ist man heute „Storyteller“ und hat das großartige Privileg, sich nicht für eine Plattform entscheiden zu müssen, sondern transmedial zu arbeiten. Letzten Endes zählt die Story.  Und so ist auch digitales Storytelling nicht mehr wegzudenken: Klassische Geschichten finden in vielfältiger Form Einzug ins Netz – wie diverse Webserien, Podcasts, Vlogs oder Social Media Erzählprojekte beweisen.  Aber kann man mit klassischer Serien-Dramaturgie wie Cliffhangern und verschiedenen Erzählperspektiven die gute alte Fortsetzungsgeschichte online wiederbeleben? So ganz ohne Videos? So dass sich der Leser die Zeit nimmt, während seiner 15 minütigen U-Bahn Fahrt einen literarischen Text auf seinem Smartphone zu konsumieren? Ja, kann man (und das sogar ohne Catch-Phrases und niedliche Tierbaby-Videos ;-)). 

Mit dem ganz realen Dating-Irrsinn startete 2015 der Blog www.150daystodate.de  – und hey, ich war nicht allein! So viele Dating-geplagten Singles (oder 

eben auch Singles a.D.) verfolgten „Felis“ Vorhaben, in 150 Tagen ein Date für die Hochzeit der besten Freundin zu finden. Das skurrile Dating-Erzählprojekt schaffte es schließlich bis zur Nominierung für den Isarnetz Blogaward in der Kategorie „Bester Blog Münchens“ auf der Münchner Webwoche 2015. Ich freue mich sehr, dass ich seitdem immer wieder mit den Organisatoren von Mucbook kooperiere,  inzwischen schon selbst in der Jury für den Isarnetz Blogaward saß – und ich referiere auch über dieses besondere, digitale Erzählprojekt.

Zwei Jahre später startete das zweite Storytelling-Blog-Projekt: Zusammen mit drei männlichen Co-Autoren ging es nun um das Kennenlernen mit all seinen Missverständnissen und Tücken. Dazu schrieben „Feli“ und dieses Mal auch „Leo“ abwechselnd aus zwei Perspektiven. Wie auch beim letzten Mal war dieses Projekt intuitiv-kreativ  – das heißt es gab kein Script, wir reagierten Eintrag auf Eintrag aufeinander und packten all unsere persönlichen Erfahrungen in den Blog. Emotionaler Seelenstriptease vom Feinsten! Wer dieses spannende Mann-Frau-Projekt verpasst hat (sträflich!), kann es hier nachlesen.

– Hier geht zu dem 150 days to date Blog –


Auszug aus dem Blog:

Check the correct box

Dienstag, 10.03., TAG 0

„Wir heiraten!“

Die Karte starrt mich hinterlistig von meinem heißgeliebten Vintage-Schreibtisch an. Ich seufze. „Wir heiraten!“. Exclamation Mark! Als wäre die Aussage nicht Ausruf genug. Nebenan quietscht rhythmisch das Bett meiner Nachbarn. „Schnauze, zefix!!“. Ich muss nachdenken….

Wenn einem die beste Freundin erzählt, dass sie heiraten wird, ist das die gängige Reaktion: „Oh mein Gott, wow, oh mein Gott…“ Tränen schießen in die Augen „Wow, oh mein Gott – ich kann’s kaum glauben…“ Der Rest geht ihn stoßartigen Schluchzern der Freude unter. Beide Freundinnen liegen sich halb weinend, halb lachend in den Armen.

… oder auch:

KREISCH!! „Oh…mein…Gott!!!!! Woooooooooooooow!“ Heftiges, fröhliches Quietschen, gefolgt von einer stürmischen Umarmung, bei der sich alle anderen im Restaurant peinlich berührt umschauen. Beide Freundinnen liegen sich halb weinend, halb lachend in den Armen.

Die Reihenfolge der einzelnen Schritte ist variierbar, der Ausgang bleibt meist der Gleiche. Nur nicht bei mir. Als mir meine beste Freundin Gitta selig strahlend beim After-Work in unserem Lieblingsitaliener gegenüber sitzt, und mir gerade die Romantischte aller Nachrichten offenbart hat, kreische ich nicht. Mir schießen auch keine Tränen in den Augen. Ich reagiere ungefähr so: „Wow….“ Stille. „Äh….und warum?“

Lasst euch sagen „Und warum?“ ist NICHT die angebrachte Frage auf den Satz „Wir werden heiraten“.

Das geht mir in dem Moment auch auf und ich nehme schnell einen langen Schluck von meinem Feierabend-Radler um die Stille zu überbrücken. Ich spüre förmlich, wie sich die Blicke aller anderen Gäste im Restaurant vorwurfsvoll auf mich richten: Wie kann sie nur? Wie pathetisch! Wie unsensibel!

Gitta aber sagt nichts dergleichen. Es ist viel schlimmer. Sie streicht sich ihre langen blonden Haare hinter die Ohren, schluckt und blickt mich dann verständnisvoll (!) an: „Feli, ich weiß, der Zeitpunkt ist grad ziemlich scheiße…“. Ich winke ab. „Schmarrn. Du heiratest. Wow. Ich freu mich. Oh mein Gott!“. Ein weiterer Schluck aus meinem Glas. Gitta sieht mich mitleidig an. Ich habe noch nie so lange für einen Zug Bier gebraucht…ich schlucke. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Mir geht’s gut wirklich. Mit geht’s super. S-U-P-E-R!“.

Gitta hat Recht, der Zeitpunkt ist denkbar scheiße. Ich bin frisch getrennt. Ok, das klingt irgendwie falsch: „Frisch getrennt“. Als könnte man „abgelagert getrennt“ sein. Mir wurde grade erst das Herz gebrochen? Nein, zu hart. Ich bin Optimist. Wobei…

Während alle meine engen Freundinnen und Freunde ihre langen Single-Party-Phasen schon hinter sich haben und nun alle ihren Partner (den Einen) gefunden haben – bin ich jetzt plötzlich zum ersten Mal Single. Naja, so ganz stimmt das nicht. Aber die Zeit zwischen meiner ersten großen Schul-Liebe und meiner letzten, soeben zu Ende gegangenen Beziehung (die optimistische Herzrausreißnummer) war gerade mal lang genug, um den Umzug zu organisieren. Und um im Schnelldurchlauf das aufzuholen, was ich in meiner harmonischen Langzeit-Beziehung die ganze Uni-Zeit hindurch scheinbar verpasst hatte. Das war also abgehakt. Off the list. Ich hatte nicht vor, nochmal Single zu sein. Mit Ende Zwanzig. Scheiße. Gitta seufzt. „Maaan…du bist doch noch nicht mal 30! Du hast noch alle Zeit der Welt, dich nochmal zu verlieben – und bis August kann noch viel passieren…“

Es gibt nur wenige Dinge, die man frischgetrennt (also doch) noch ätzender findet als seine eigene, erbärmliche Situation. Krieg, Krankheit, Tod, die 5. Staffel „Der Bachelor“ ….und auf der Hochzeit der besten Freundin als einziger Single am Tisch mit seinen engsten Freunden in verliebter Zweier-Kombination sitzen. Und alle ehemaligen Schulfreunde wiedertreffen. Auch in Zweier-Kombi. Paare, die alle gerade zusammenziehen, gerade zusammen gezogen sind, Kinder bekommen, bekommen wollen und heiraten. Not essentially in this order.

Alles geht irgendwie plötzlich verdammt schnell. Aus „Wir heiraten“ ist „Wir heiraten!“-Exclamation-Mark geworden. Schwarz auf Grün. Und viel schlimmer ist die Innenseite der Karte: „Ich/Wir komme (n)“ Ja, Nein. Check the box. „Mit Begleitung?“. Check the Box. „Mit Kindern“….Mit Kindern??? Was habe ich verpasst?

Ich seufze und setze mein erstes Häkchen. Natürlich komme ich! Das Einzige was da zu überlegen gibt ist, ob ich mein Festtagsdirndl aufbügle oder nochmal für ein hippes Cocktailkleid shoppen gehe.

„Mit Begleitung…..“

Grübelnd verharrt mein Stift über dem Papier. Habe ich erwähnt, dass auch mein Ex-Ex zu der Feier kommt? Mit seiner neuen Freundin? Die kaufen gerade eine Wohnung.

Gitta hat Recht. Die Hochzeit ist erst in knapp einem halben Jahr. 150 Tage…! Bis dahin kann sich viel ändern. Ich sehe ziemlich gut aus (meine Wadeln sind der Hammer, Yogalates sei Dank!), bin klug, witzig und recht erfolgreich. Bis jetzt hab ich noch alles in meinem Leben geregelt bekommen. Warum sollte ich also länger als einen Tag Single bleiben? Pah, lächerlich. Man muss das nur systematisch angehen. Bis in 150 Tagen werde ich ja wohl wieder einen Freund haben. Und somit ein Date für die Hochzeit. Check!